Montag, 15. Februar 2016

Suffragetten - Taten statt Worte

Mal wieder Zeit für etwas politische Bewusstseinsbildung  – ich will die Gelegenheit nicht versäumen und gehe mit meinen Kindern in „Suffragetten“. Unglücklich gewählter Titel irgendwie: ich weiß nie so genau, wie man das ausspricht, und es ist doch auch so ein altertümliches und ungebräuchliches Wort....

Die Einstellung zur Staatsgewalt ist sehr davon abhängig, ob man grade selbst im Polizeigriff steckt

Ungünstig auch, weil das Wort ein Beispiel dafür ist, dass eine Gruppenbezeichnung von den Betroffenen nicht vom Negativen ins Positive gedreht wird (wie „schwul“) sondern sich irgendwie in die Gegenrichtung entwickelt. Sei’s drum: Ordentlicher Film, informativ und sogar mit mindestens EINER großen Frage, über die es lohnt, sich ein paar Gedanken zu machen (doch dazu später).

Worum geht’s?


London 1912: Maude ist Vorarbeiterin in der Wäscherei, in der sie seit ihrem 12ten Lebensjahr arbeitet. Der Arbeitsalltag ist frühindustriell: Chemikalien greifen Lungen und die Haut der Wäscherinnen an, Arbeitsunfälle mit kochendem Wasser sind die Regel und sexuelle Belästigungen und Missbrauch Minderjähriger durch die Vorgesetzten (Männer) werden hingenommen statt verfolgt. Gesetze und Rechtspflege benachteiligen Frauen: ihre Interessen sollen nach herrschender Auffassung durch Väter, Ehemänner und Brüder wahrgenommen werden.

Die Uraufführung des Films gab Anlass zu Protesten gegen die Kürzung von staatlichen Mitteln, die häuslicher Gewalt vorbeugen sollen.

Als Vertreterin für eine Arbeitskollegin, die von Ihrem Mann am Vorabend verprügelt worden war, spricht Maude vor Schatzkanzler und Parlament über die Arbeitsverhältnisse in der Wäscherei und wird in anschließenden Raufhändeln von der Polizei zusammengeschlagen und verhaftet. Der Freilassung folgt die soziale Ächtung durch Nachbarn und durch Mann Sonny: Frauen verhalten sich nicht so, und besonders werden sie nicht verhaftet.

Welchen Weg soll Maude gehen? Sich der Repression entgegenstellen und mit den Frauenrechtlerinnen, die sie im Gefängnis kennengelernt hat, für das Wahlrecht kämpfen? Oder zurückstecken, sich die Anerkennung von Mann und Umgebung zurückerarbeiten?

Maude versucht natürlich beides. Sie verspricht ihrem Mann Wohlverhalten und Gehorsam und geht heimlich weiter zu den Versammlungen der Suffragetten.

Keine Lüge lebt ewig: Maude wird wieder eingesackt und im Polizeiwagen nach Hause gefahren. Sonny schmeißt sie raus und enthält ihr den gemeinsamen Sohn vor – im Einklang mit dem Gesetz der Zeit. Er versucht die Sache allein zu schaukeln, kriegt es aber nicht hin – wo das soziale Netz seiner Frau erlaubt, den Sohn auch mal gegen schmales Geld von der Nachbarin betreuen zu lassen, ist Sonny nun ein Geächteter ohne Freunde. Er gibt den Sohn zur Adoption frei.

Manchmal macht Revolte auch Spaß: Bitte achten Sie auf den Gesichtsausdruck der Darstellerin

Maude leidet, radikalisiert sich, jagt mit ihren Freundinnen Briefkästen in die Luft und schneidet Telegrafendrähte durch. Als sie den Landsitz eines Ministers mit einer respektablen Explosion hochgehen lassen, werden sie als die ‚üblichen Verdächtigen‘ verhaftet. Der Kommissar versucht Maude zum Spitzeldienst zu überreden, scheitert aber an ihrer bereits gefestigten Sicht der Dinge.

„Gesetze bedeuten mir nichts. Ich hatte bei der Gesetzgebung keine Stimme“

Maude und ihre Mithäftlinge treten in den Hungerstreik und werden zwangsernährt – eine Maßnahme, die (auch heute noch – siehe die RAF der 70er Jahre) unweigerlich in Brutalität und Folter ausartet. Die britische Presse wird von der Regierung dazu veranlasst, die Aktionen der Frauenrechtlerinnen ebenso wie die Zwangsernährung zu verschweigen oder herunterzuspielen.

Zwangsernährung ist nix Schönes. Der Gefangene wird nicht deshalb so traktiert, weil man ihm das Leben erhalten will, sondern weil man die Auseinandersetzung mit der Tatsache scheut, dass er lieber stirbt, als die Rechtmäßigkeit seiner Gefangennahme zu akzeptieren

Um ein Zeichen zu setzen, das diese Zensur nicht unterdrücken kann, wollen Maude und Emily Davison (eine historische Figur) beim königlichen Derby ein Banner der Frauenrechtsbewegung entfalten. Sie werden am Zugang zur Tribüne gehindert, schließlich tritt Emily in die Rennbahn, um das Banner an einem der daher jagenden Pferde zu befestigen. Das Pferd (in diesem Fall das Pferd aus dem Gestüt des Königs) läuft sie um, sie stirbt. Die Beerdigung unter vieltausendfacher Beteiligung macht das Anliegen der Frauenrechtlerinnen in ganz England bekannt.

Wie war’s?


Wie immer bei den Biopics (die ich ja so sehr liebe) bin ich geneigt, nicht über die Filmkunst zu schreiben, sondern über die Missstände, die im Film geschildert werden. Unvorstellbar, dass es in den meisten europäischen Ländern bis zum ersten Weltkrieg gebraucht hat, bis die Frauen endlich gleichberechtigt wählen durften! Noch unvorstellbarer, dass es in der Schweiz bis 1971 gedauert hat! Dass in unserem Freundesland und Bündnispartner Saudi-Arabien das Frauenwahlrecht sich zurzeit lediglich „in Prüfung“ befindet, verwundert mich dann auch nicht mehr.

Und weil es wirklich ein Eins-A-Medien-Event seiner Zeit war, ist auf uns auch eine historische Aufnahme gekommen. Emily Davison, Pferd, Jockey, alle links am Boden.

Müssen wir jetzt historisches Verständnis haben, weil die Zustände von 1912 sich „aus der Zeit“ erklären? Oder beweist das einfach nur, dass wir uns einfach immer wieder jede Art von bestehenden Verhältnissen als die beste und vernünftigste aller Welten weismachen lassen?

Welche Missstände werden spätere Generationen bei uns sehen? Wird es die Diskriminierung der ganzen Sonder-, Misch-, und Zwischengeschlechtsempfindungen, aka „Genderwahn“ sein? Oder der Unterschied, den wir zwischen den Rechten von Deutschen und Nichtdeutschen machen? Oder werden es die fehlenden Tierrechte sein? Oder das Wahlrecht für Kinder?

Zugegeben, mir kommen jetzt alle diese Themen abwegig vor, wahrscheinlich ebenso abwegig wie dem Schatzkanzler das Wahlrecht für Frauen.

Bei allem Geschimpfe über Lohnstückkosten, Gewerkschaftsmacht und ebenso unkündbare wie arbeitsunlustige Mitarbeiter sollten die Unternehmer nicht vergessen, wie es in den schlechten alten Zeiten mit der Arbeitssicherheit, der Absicherung gegen Willkür und der Gleichstellung von Mann und Frau ausgesehen hat.


Und jetzt der versprochene tiefsinnige Gedanke im Film (ist jetzt schon der zweite, nach dem Beitrag zur Zeitgebundenheit unserer Auffassungen): Im Film sagt der (böse) Geheimdienstler der (lieben) Rebellin: „Sie benutzen Euch. Sie geben euch allerhand, womit ihr Euch schmücken könnt und damit ihr euch besser fühlt und womit ihr aus eurem armseligen Leben für eine Zeit lang fliehen könnt. Aber für sie seid ihr nur Kanonenfutter, sie werden euch wegwerfen, wenn ihr euren Zweck erfüllt habt.“ Da muss ich erstmal drüber nachdenken. Wie oft sind die einfachen Gefolgsleute für die Anführer nur Mittel zum Zweck? Manchmal, Immer, Nie? (Zutreffendes bitte ankreuzen).

Friendlys Schulnote: eine ZWEI. Solide gedrehtes Manipulations-Melodram mit sympathischer Hauptdarstellerin und einigen bewegenden Momenten. Unmotiviert getrübt erscheint mir allerdings die Beziehung zwischen Maude und Sonny: Wenn sie sich so augenscheinlich gut verstehen, warum reden sie nicht auch über Maudes neue Rolle als Aktivistin? Aber was weiß ich schon, Menschen sind komisch.

P.S.: Wirklich, wirklich witzig finde ich die Idee, an alle aus dem Gefängnis entlassenen Kämpferinnen Ordensbänder zu verteilen. Die Anzahl der Clips bestätigt die Anzahl der Gefängnisaufenthalte für ‚die Sache‘. Das mache ich auch so, wenn ich mal an der Spitze einer Bewegung stehe, hihi…

P.P.S.: Kann übrigens auch als Kommentar zur ‚Lügenpresse‘ Diskussion gesehen werden, diese Selbstzensur der Zeitungen im Film. Man wollte die ‚Propaganda der Tat‘ durch Ignorieren aushungern, so wie manche Journalisten heute denken, sie sollten besser nicht berichten über .. ja was denn? Nicht berichten über Brandanschläge gegen Flüchtlingsunterkünfte, damit es keine Nachahmungstaten gibt? Oder nicht berichten über Straftaten von Immigranten, damit es keine Stimmung gegen ‚den Flüchtling an sich‘ gibt?

Ich möchte mir ausnahmsweise einmal eine entschiedene eigene Meinung in einer politischen Frage erlauben: Die Wahrheit muss auf den Tisch. Zahlen, Daten Fakten. Dann erst die Auslegung, die Interpretation, das Abwägen und Vergleichen. 

Sind Flüchtlinge krimineller als Deutsche gleichen Alters und Geschlechts? Warum werden bei so wenigen Brandanschlägen die Täter ermittelt? Stimmt es, dass die Silvestertäter von Köln nicht angeklagt werden können? Dinge werden nur besser, wenn man drüber nachdenken kann, und nachdenken kann man nur, wenn man weiß, was der Fall ist. Jede ‚voreilende‘ Rücksichtnahme und Auswahl der Fakten egal in welcher Richtung ist nicht nur unfair, sondern schädlich für das Gemeinwesen.

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