Mal wieder Zeit für etwas politische Bewusstseinsbildung – ich will die Gelegenheit nicht versäumen und gehe mit
meinen Kindern in „Suffragetten“. Unglücklich gewählter Titel irgendwie: ich weiß nie so
genau, wie man das ausspricht, und es ist doch auch so ein altertümliches und
ungebräuchliches Wort....
Die Einstellung zur Staatsgewalt ist sehr davon abhängig, ob man grade selbst im Polizeigriff steckt |
Ungünstig auch, weil das Wort ein Beispiel dafür ist, dass eine Gruppenbezeichnung
von den Betroffenen nicht vom Negativen ins Positive gedreht wird (wie „schwul“)
sondern sich irgendwie in die Gegenrichtung entwickelt. Sei’s drum:
Ordentlicher Film, informativ und sogar mit mindestens EINER großen Frage, über
die es lohnt, sich ein paar Gedanken zu machen (doch dazu später).
Worum geht’s?
London 1912: Maude ist Vorarbeiterin in der Wäscherei, in
der sie seit ihrem 12ten Lebensjahr arbeitet. Der Arbeitsalltag ist frühindustriell:
Chemikalien greifen Lungen und die Haut der Wäscherinnen an, Arbeitsunfälle mit
kochendem Wasser sind die Regel und sexuelle Belästigungen und Missbrauch Minderjähriger
durch die Vorgesetzten (Männer) werden hingenommen statt verfolgt. Gesetze und
Rechtspflege benachteiligen Frauen: ihre Interessen sollen nach herrschender
Auffassung durch Väter, Ehemänner und Brüder wahrgenommen werden.
Die Uraufführung des Films gab Anlass zu Protesten gegen die Kürzung von staatlichen Mitteln, die häuslicher Gewalt vorbeugen sollen. |
Als Vertreterin für eine Arbeitskollegin, die von Ihrem Mann
am Vorabend verprügelt worden war, spricht Maude vor Schatzkanzler und
Parlament über die Arbeitsverhältnisse in der Wäscherei und wird in
anschließenden Raufhändeln von der Polizei zusammengeschlagen und verhaftet. Der Freilassung folgt die soziale Ächtung durch Nachbarn und
durch Mann Sonny: Frauen verhalten sich nicht so, und besonders werden sie
nicht verhaftet.
Welchen Weg soll Maude gehen? Sich der Repression
entgegenstellen und mit den Frauenrechtlerinnen, die sie im Gefängnis
kennengelernt hat, für das Wahlrecht kämpfen? Oder zurückstecken, sich die
Anerkennung von Mann und Umgebung zurückerarbeiten?
Maude versucht natürlich beides. Sie verspricht ihrem Mann
Wohlverhalten und Gehorsam und geht heimlich weiter zu den Versammlungen der
Suffragetten.
Keine Lüge lebt ewig: Maude wird wieder eingesackt und im
Polizeiwagen nach Hause gefahren. Sonny schmeißt sie raus und enthält ihr den
gemeinsamen Sohn vor – im Einklang mit dem Gesetz der Zeit. Er versucht die
Sache allein zu schaukeln, kriegt es aber nicht hin – wo das soziale Netz
seiner Frau erlaubt, den Sohn auch mal gegen schmales Geld von der Nachbarin
betreuen zu lassen, ist Sonny nun ein Geächteter ohne Freunde. Er gibt den Sohn
zur Adoption frei.
Maude leidet, radikalisiert sich, jagt mit ihren Freundinnen
Briefkästen in die Luft und schneidet Telegrafendrähte durch. Als sie den Landsitz
eines Ministers mit einer respektablen Explosion hochgehen lassen, werden sie
als die ‚üblichen Verdächtigen‘ verhaftet. Der Kommissar versucht Maude zum
Spitzeldienst zu überreden, scheitert aber an ihrer bereits gefestigten Sicht
der Dinge.
„Gesetze bedeuten mir nichts. Ich hatte bei der Gesetzgebung keine Stimme“
Maude und ihre Mithäftlinge treten in den Hungerstreik und
werden zwangsernährt – eine Maßnahme, die (auch heute noch – siehe die RAF der
70er Jahre) unweigerlich in Brutalität und Folter ausartet. Die britische
Presse wird von der Regierung dazu veranlasst, die Aktionen der
Frauenrechtlerinnen ebenso wie die Zwangsernährung zu verschweigen oder
herunterzuspielen.
Um ein Zeichen zu setzen, das diese Zensur nicht
unterdrücken kann, wollen Maude und Emily Davison (eine historische Figur) beim
königlichen Derby ein Banner der Frauenrechtsbewegung entfalten. Sie werden am
Zugang zur Tribüne gehindert, schließlich tritt Emily in die Rennbahn, um das
Banner an einem der daher jagenden Pferde zu befestigen. Das Pferd (in diesem
Fall das Pferd aus dem Gestüt des Königs) läuft sie um, sie stirbt. Die
Beerdigung unter vieltausendfacher Beteiligung macht das Anliegen der
Frauenrechtlerinnen in ganz England bekannt.
Wie war’s?
Wie immer bei den Biopics (die ich ja so sehr liebe) bin ich
geneigt, nicht über die Filmkunst zu schreiben, sondern über die Missstände,
die im Film geschildert werden. Unvorstellbar, dass es in den meisten
europäischen Ländern bis zum ersten Weltkrieg gebraucht hat, bis die Frauen
endlich gleichberechtigt wählen durften! Noch unvorstellbarer, dass es in der
Schweiz bis 1971 gedauert hat! Dass in unserem Freundesland und Bündnispartner
Saudi-Arabien das Frauenwahlrecht sich zurzeit lediglich „in Prüfung“ befindet,
verwundert mich dann auch nicht mehr.
Und weil es wirklich ein Eins-A-Medien-Event seiner Zeit war, ist auf uns auch eine historische Aufnahme gekommen. Emily Davison, Pferd, Jockey, alle links am Boden. |
Müssen wir jetzt historisches Verständnis haben, weil die
Zustände von 1912 sich „aus der Zeit“ erklären? Oder beweist das einfach nur,
dass wir uns einfach immer wieder jede Art von bestehenden Verhältnissen als
die beste und vernünftigste aller Welten weismachen lassen?
Welche Missstände werden spätere Generationen bei uns sehen?
Wird es die Diskriminierung der ganzen Sonder-, Misch-, und Zwischengeschlechtsempfindungen,
aka „Genderwahn“ sein? Oder der Unterschied, den wir zwischen den Rechten von
Deutschen und Nichtdeutschen machen? Oder werden es die fehlenden Tierrechte
sein? Oder das Wahlrecht für Kinder?
Zugegeben, mir kommen jetzt alle diese Themen abwegig vor,
wahrscheinlich ebenso abwegig wie dem Schatzkanzler das Wahlrecht für Frauen.
Und jetzt der versprochene tiefsinnige Gedanke im Film (ist
jetzt schon der zweite, nach dem Beitrag zur Zeitgebundenheit unserer
Auffassungen): Im Film sagt der (böse) Geheimdienstler der (lieben) Rebellin: „Sie
benutzen Euch. Sie geben euch allerhand, womit ihr Euch schmücken könnt und damit
ihr euch besser fühlt und womit ihr aus eurem armseligen Leben für eine Zeit lang
fliehen könnt. Aber für sie seid ihr nur Kanonenfutter, sie werden euch
wegwerfen, wenn ihr euren Zweck erfüllt habt.“ Da muss ich erstmal drüber
nachdenken. Wie oft sind die einfachen Gefolgsleute für die Anführer nur Mittel
zum Zweck? Manchmal, Immer, Nie? (Zutreffendes bitte ankreuzen).
Friendlys Schulnote: eine ZWEI. Solide gedrehtes Manipulations-Melodram
mit sympathischer Hauptdarstellerin und einigen bewegenden Momenten.
Unmotiviert getrübt erscheint mir allerdings die Beziehung zwischen Maude und
Sonny: Wenn sie sich so augenscheinlich gut verstehen, warum reden sie nicht
auch über Maudes neue Rolle als Aktivistin? Aber was weiß ich schon, Menschen
sind komisch.
P.S.: Wirklich, wirklich witzig finde ich die Idee, an alle
aus dem Gefängnis entlassenen Kämpferinnen Ordensbänder zu verteilen. Die
Anzahl der Clips bestätigt die Anzahl der Gefängnisaufenthalte für ‚die Sache‘.
Das mache ich auch so, wenn ich mal an der Spitze einer Bewegung stehe, hihi…
P.P.S.: Kann übrigens auch als Kommentar zur ‚Lügenpresse‘ Diskussion
gesehen werden, diese Selbstzensur der Zeitungen im Film. Man wollte die ‚Propaganda
der Tat‘ durch Ignorieren aushungern, so wie manche Journalisten heute denken,
sie sollten besser nicht berichten über .. ja was denn? Nicht berichten über
Brandanschläge gegen Flüchtlingsunterkünfte, damit es keine Nachahmungstaten
gibt? Oder nicht berichten über Straftaten von Immigranten, damit es keine
Stimmung gegen ‚den Flüchtling an sich‘ gibt?
Ich möchte mir ausnahmsweise einmal eine entschiedene eigene
Meinung in einer politischen Frage erlauben: Die Wahrheit muss auf den Tisch.
Zahlen, Daten Fakten. Dann erst die Auslegung, die Interpretation, das Abwägen
und Vergleichen.
Sind Flüchtlinge krimineller als Deutsche gleichen Alters
und Geschlechts? Warum werden bei so wenigen Brandanschlägen die Täter
ermittelt? Stimmt es, dass die Silvestertäter von Köln nicht angeklagt
werden können? Dinge werden nur besser, wenn man drüber nachdenken kann, und nachdenken
kann man nur, wenn man weiß, was der Fall ist. Jede ‚voreilende‘ Rücksichtnahme
und Auswahl der Fakten egal in welcher Richtung ist nicht nur unfair, sondern schädlich für das Gemeinwesen.
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