Dienstag, 25. November 2014

Zero Dark Thirty

"Zero Dark Thirty" ist auf seine Art der beste Film, den ich in meinem Leben gesehen habe – und ich habe eine Menge Filme gesehen. Ein Meisterwerk in stilistischer Hinsicht, eine tief verstörende Geschichte, die in mir noch lange nachwirken wird und eine kraftvolle Anklage gegen die Gewalt in jeder Form. Dass es diesen Film gibt, macht die Welt ein bisschen besser.

"How do you like Pakistan so far?" "It's kinda fucked up" - Maya ist nicht die Botschafterin des UNESCO Weltkulturerbes. Sie will Bin Laden, und sei es das letzte, was sie tue.

Worum geht’s?


Die junge CIA-Analytikerin Maya kommt 2003 nach Pakistan, um die Suche nach Osama bin Laden zu unterstützen. Sie begleitet ihren Kontakt, CIA-Agent Dan, zu einem Geheimgefängnis in dem ein Bote, der Geld für die Attentäter des 11. Septembers geschmuggelt haben soll, gefoltert wird. Sie beteiligt sich an der Misshandlung des Mannes durch Waterboarding (dem fast-ertränken durch ein mit Wasser übergossenes Tuch vor dem Mund des liegenden Opfers), durch Erniedrigung (der Gefangene muss ohne Hosen und mit einem Würgehalsband auf dem Boden kriechen), durch Schläge, durch Schlafentzug und durch das Einsperren in enge Kisten.
Waterboarding: möglicherweise würde der Präsident es ablehnen, dass diese Technik an ihm selbst angewendet würde, um die Wahrheit über seine Rolle im "War against terror" aus ihm herauszupressen. Manche seiner Folteropfer sind über 100 mal ertränkt worden.
„Willst Du keine Maske tragen?“ „Kommt er denn je wieder hier raus?“ „Nein“ „Dann brauche ich auch keine Maske“

Nach monatelanger Folter entpressen Dan und Maya dem Gefangenen den Kampfnamen eines weiteren Kuriers, der möglicherweise direkten Kontakt zu bin Laden hatte. Maya geht der Spur nach und untersucht die Verhör- und Folter-Protokolle aus anderen Geheimgefängnissen in Pakistan, Afghanistan und dem Irak. Einen Gefangenen, von dem sie neue Informationen erhofft, lässt sie persönlich foltern. Ihre Überzeugung wächst, dass der genannte Abu Achmed ihr Zugang zu bin Laden sein könnte – bis ein glaubwürdiger Informant behauptet, die Person auf dem einzigen erhaltenen Foto sei bereits seit 2001 tot.
Die Foltermethoden in amerikanischen Geheimgefängnissen sind vielfältig. Erniedrigung und Schläge gehören ebenso dazu wie Schlafentzug und Elektroschocks. AC/DC hat gegen diese Verwendung ihrer Musik protestiert.

Maya zweifelt an der Information und stellt schließlich fest, dass das Foto nicht Abu Achmed, sondern seinen (tatsächlich verstorbenen) Bruder zeigt. Maya wird nach Washington zurückgerufen und sucht von dort aus weiter. Mit Dans Hilfe (er besticht einen Informanten in Saudi-Arabien mit einem Lamborghini) ermittelt sie die Telefonnummer von Abu Achmeds Mutter.

Ausdauerndes Abhören dieses Anschlusses und die Verfolgung des anrufenden Mobiltelefons führt schließlich zur Identifikation von Abu Achmed, der seine Überwacher nichtsahnend zu einem festungsähnlichen Anwesen in der Nähe von Abbottabad führt. Satellitenaufnahmen geben Hinweise darauf, dass bin Laden hier untergekommen sein könnte – oder auch ein saudischer Drogenhändler, oder ein somalischer Waffenschieber, oder…

Zurück in Washington: Die Suche nach der fehlenden Information dauert Jahre
Maya überzeugt den Minister, einen Angriff fliegen zu lassen. Mit zwei experimentellen Flüster-Hubschraubern („Langsamer als ein Apache, schwächer bewaffnet als ein Black Hawk, aber leise – wenn er denn fliegt, Lady“) und einem Special Forces Kommando überfallen die amerikanischen Truppen die Anlage. Frauen werden nicht geschont, wenn sie in die Schusslinie kommen, sondern werden eher beiläufig erschossen, um wieder frei Sicht zu bekommen. Die glücklicheren von ihnen werden mit den Kindern in einem Wohnzimmer zusammengetrieben, während das Gebäude durchkämmt wird und alle erwachsenen Männer erschossen werden. Bin Laden wird unter den Toten gefunden. Zusammen mit allen Papieren und Computern, die die Soldaten auf die Schnelle zusammenraffen können, wird der Leichnam in den einen noch flugfähigen Hubschrauber verladen. Bevor die pakistanische Luftwaffe da ist, sind die Amerikaner fort.

„Setzen sie sich, wohin sie wollen, die Maschine fliegt heute nur für sie. Sie müssen verdammt wichtig sein. Wo wollen sie hin?“

Auf dem Stützpunkt identifiziert Maya den Toten bin Laden. Mit einem Sonderflug wird sie nach Washington geflogen. 12 Jahre der Jagd sind vorbei, und Maya weint.
Ein Leben für den Tod. Und jetzt am Ziel.

Wie war’s?


Grauenhaft und großartig. Dieser Film buchstabiert das Alphabet der Gewalt und der Menschenverachtung bis zum Ende – eine Spirale der Gewalt und Gegengewalt, von der Präsenz amerikanischer Truppen in Arabien über den Anti-Amerikanischen Terrorismus der religiösen Fanatiker bis hin zu den Boden- und Drohnenkriegen der Amerikaner im Irak und in Afghanistan.
Es wird vermutet, dass die kleingewachsene angebliche "Audrey Francis Tomason" im Rückraum des offiziellen "Situation Room" Fotos vom 1. Mai 2011  in Wirklichkeit Alfreda Bikowsky ist. Bikowsky, die vermutlich persönlich an Folterungen teilgenommen hat, ist das hauptsächliche Vorbild für die Figur der Maya im Film.

Die Frage ist natürlich: Was haben die Amerikaner in Arabien verloren? Warum erdreisten sie sich, dort ihre Soldaten zu stationieren und die verbrecherischen Despoten der Region zu stützen, eine ständige Provokation für die Bürger des Staates? Ist schon mal jemandem aufgefallen, dass in Europa und den USA die demokratisch gewählten Politiker des „arabische Frühlings“ nur dann genehm sind, wenn sie unserer politischen Auffassung entsprechen – also pro USA, pro Freihandel, pro Laizismus?
Aus dem Album der Lynndie England aus Virginia im Irak. "Meine Vorgesetzten haben mich angewiesen es zu tun"
Jetzt sind die Amerikaner also dort, um ihre Hegemonie im Nahen Osten mit den Spitzen ihrer Bajonette zu sichern – und dann beschweren sie sich, wenn der Krieg, den ihre Marionetten gegen das eigene Volk führen, in ihr Heimatland getragen wird. 

Was ist die Reaktion der Amerikaner auf den Terrorismus? Besinnen sie sich, sich aus den Angelegenheiten anderer Länder herauszuhalten und suchen die Schuldigen der Anschläge mit Polizeimethoden? Nein. Sie gehen von der stillen Unterdrückung durch die despotischen Mittelsmänner zu offenem Krieg über, erschießen in Pakistan Frauen im Nachthemd und foltern jeden, von dem sie sich Informationen versprechen.
Satar Jabar steht auf einer Kiste in Abu Ghraib, Drähte an den Händen und am Geschlecht. Ihm wurde gesagt, wenn er die Kiste verlasse, werde der Stromschlag ihn töten.
Was ist eigentlich aus der guten alten persönlichen Verantwortung geworden? Für den Anschlag auf das WTC ist mit Sicherheit Mohammed Atta verantwortlich. Nach allem, was wir wissen, auch Osama bin Laden. Aber seine Frau? Was hat sie damit zu tun?

Wer ist verantwortlich für die Folter in Abu Ghraib und Guantanamo? In den Geheimgefängnissen der CIA überall in der Welt? Die Soldaten und Folterexperten, klar. Er endet es da? So wie bin Laden für die Anschläge haftbar gemacht worden ist, die er finanziert und vielleicht auch geplant hat, so sind die Präsidenten Bush und Obama für die Taten ihrer Soldaten zu Rechenschaft zu ziehen – für jede Hellfire-Rakete , die in eine Hochzeit einschlägt, für jede Scheinhinrichtung eines Gefangenen und für jeden Elektroschock an den Genitalien, die ein Iraker erlitten hat. Seien wir ehrlich: gäbe es die Nürnberger Prozesse noch, beide Präsidenten hätten sehr schlechte Karten.
Warlord, Drone-Killer, Spymaster, Torturer - Den Haag wartet schon auf dich.
Gut (oder schlecht), die Herrschaft des Rechts ist noch nicht angebrochen. Andererseits: was hindert einen vaterlosen Afghanen, eine irakische Witwe daran, Obama ganz persönlich zur Rechenschaft zu ziehen und damit ihren eigenen Beitrag dazu zu leisten, dass sich die Politiker nicht mehr nur vor Fox und CNS fürchten, sondern auch vor denen, die unter der „Herrschaft der bösen Männer“ leiden?
Freizeit im Lager Guantanamo Bay: Die Herren auf dem Bild sind nicht angeklagt, es gibt kein Gesetz, das ihre Verhaftung rechtfertigt. 
Zurück zum Film: Ihr seht, dass mich der Streifen in seiner ethischen Dimension ganz schön beschäftigt hat. Was kann man mehr verlangen: Spannung, ästhetische Perfektion und ein Thema, das einen nicht wieder loslässt – „Zero Dark Thirty“ spielt in derselben Liga wie „Hotel Ruanda“ und „Schindlers Liste“. Und genauso wie diese Filme plädiert „Zero Dark Thirty“ für Gewaltlosigkeit, Vernunft und eine Klugheit des Handelns abseits automatischer Reaktionen von Gewalt und Gegengewalt. Schluss mit dem Terrorismus, Schluss mit dem Staatsterrorismus der Amerikaner und Europäer! Schluss mit Auslandseinsätzen! Armeen dienen der Landesverteidigung, und damit muss es gut sein.

P.S.: Es gibt Berichte darüber, dass Osama ein liebevoller Vater gewesen sein soll, der gelegentlich an der Disziplinlosigkeit seiner Kinder verzweifelte (kann mir das sehr lustig vorstellen: „Ich bin die Erznemesis der mächtigsten Nation der Erde! Und jetzt räum‘ Dein Zimmer auf!“).

P.P.S.: Erinnern wir uns noch an die Bilder aus Abu Ghraib? Was macht eigentlich Lynndie England? Sie hat drei Jahre im Gefängnis gesessen, jetzt ist sie wieder frei. Sie beschwert sich, dass sie Schwierigkeiten hat, eine feste Stelle zu finden.

P.P.P.S.: Als ich im Studentenwohnheim wohnte, kam ein palästinensischer Mitbewohner mit israelischem Pass völlig verstört aus der Heimat wieder. Ein junger Mann, ein harmloser Bursche, vielleicht nicht übermäßig helle, vielleicht etwas orientalisch großsprecherisch, aber ok. Eines Abends erzählte er mir, was ihm geschehen war: am Flughafen Kapuze über den Kopf, blind zum Gefängnis, Verhöre, Schläge mit dem Telefonbuch, Drohungen. Zwei Wochen lang. Dann wurde er wieder ins Flugzeug nach Deutschland gesetzt. Er brauchte vier Wochen, nur bis er überhaupt darüber sprechen konnte.

P.mult. S.: Ja, ich weiß auch, dass meine Wut, mein Gerechtigkeitsbedürfnis und mein Appell zur Gewaltlosigkeit nicht so recht zusammenzupassen scheinen. Ich bin ja wie alle anderen auch nur ein hilfloser Spielball meines Unterbewussten und Versuche nachträglich, meine Auffassungen und Taten in das Korsett von Logik und Verstand zu schnüren… das macht das Ergebnis aber deshalb noch nicht falsch.

Noch eine abweichende Meinung zum Thema: Mein ältester Sohn vertritt die Position, dass die Staaten in bestimmten Fällen auch den unterdrückten Minderheiten oder Volksgruppen zur Hilfe kommen müssten und sie sich nicht ihrem Schicksal (und der Verfolgung) der militärischen Machthaber überlassen sollten (so wie die Yeziden, die vor den Truppen des Islamischen Staates in Syrien flüchten). Habe nicht direkt ein Gegenargument zur Hand. Aber eins ist sicher: mein Sohn bleibt hier.

Der Film ist FSK-16, ich würde ihn aber nicht mit Kindern sehen, die jünger als 17 Jahre sind. Und, wie gesagt: in Begleitung eines Erwachsenen, so dass man auch darüber reden kann, was da grade passiert ist. (mein Gott - ich bin spießig geworden...)

2 Kommentare:

  1. "Und, wie gesagt: in Begleitung eines Erwachsenen, so dass man auch darüber reden kann, was da grade passiert ist. (mein Gott - ich bin spießig geworden...)"

    Mein Gott, das ist echt spießig ! :D
    Aber nachvollziehbar.

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  2. Jaja... habe ja auch einen Migrationshintergrund, und auf dem Balkan sieht man das alles noch sehr streng. In diesem Sinne werde ich auch die Ehre meiner Tochter schützen (durch streng limitierte Ausgehzeiten) und von meinen Söhnen respektvolles Auftreten gegenüber Älteren einfordern :-D

    He, wenn ich es mir recht überlege ist da ja auch wirklich was dran (...respektive der Ehre meiner Söhne und des Respektes durch meine Tochter).

    In diesem Sinne,
    Friendly

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