Ist Jennifer Lawrence eine gute Schauspielerin? Schwierig zu
sagen. Ihre Filme dagegen sind durchweg gut, soweit ich sie gesehen habe, das
muss aber nicht auf ihre Leistung zurückzuführen sein. Was mich ein bisschen
misstrauisch bezüglich der Fähigkeiten von Frau Lawrence macht ist die
Beobachtung, dass sie in den „Tribute“-Filmen und in dem (völlig andersartigen)
„Winter’s Bone“ ungefähr gleiche Charaktere auf die gleiche Art spielt: eine
überforderte Jugendliche, die nicht weiß, wo es lang geht, aber unbeirrt
vorwärtsstolpert und am Ende obsiegt. Über „Silver Linings“ kann ich nichts
sagen – ich habe den Film zwar gesehen, aber mir ist (große Ausnahme, und
sicher liegt es am Film und nicht an mir) völlig entfallen, worum es geht und
wie es war.
Jennifer hat Fragen gestellt, die nicht die Billigung ihrer Nachbarn haben - zum Beispiel: "Wo ist mein Vater geblieben?" |
Worum geht’s in Winters Bone?
Ländliches Amerika. Sehr ländliches Amerika! Hinterwäldler,
alle ohne richtigen Job, mit Nebenerwerbslandwirtschaft, die die Familie nicht
ernährt, dafür aber reichlich Drogenküchen. Armut, Gewalt, Rohheit. Eine Spur
Solidarität unter den unterdrückten Frauen – aber nicht zu viel, denn die Sippe
ist das Gesetz, und der Mann ist der Bestimmer. Familie Dolly ist in dieser an häuslichem Glück nun wirklich
nicht reichen Gegend wirklich am Arsch: Die Mutter ist von Depressionen
lahmgelegt, Papi ist seit drei Wochen verschwunden, die beiden kleinen
Geschwister sind keine Hilfe für die 17-jährige Ree. Pferd und Mensch hungern.
Auftritt: Das Gesetz – in Form des lokalen Sheriffs. Papa
hat sich nach der Verhaftung aus der Kaution herausgekauft. Dazu musste er Wald
und Haus verpfänden. Jetzt ist er weg und die Frist läuft: taucht er nicht vor
Gericht auf, wird das Land versteigert, die Kinder zu Nachbarfamilien gegeben,
Mama kommt ins Heim und Ree? Ree wäre endlich frei, aus dem ländlichen Grauen
zu fliehen und zur Armee zu gehen.
Onkel Teardrop ist brutal, verachtet seinen Bruder, belügt die Nichte, schlägt Kinder und seine Frau und bedroht die Polizei. Und er ist noch einer von den Guten. |
Aber eine Dolly gibt so leicht nicht auf, auch nicht, wenn
es ihr Vorteil ist. Sie wandert (kein Auto mehr in der Familie) zu den
verschiedenen Verwandten und nicht-Verwandten der Gegend und macht sich unbeliebt: Es gibt einfach zu viele Geheimnisse in der Gegend, als
dass eine Jugendliche einfach so ihre Fragen nach dem verschwundenen Vater
beantwortet bekäme. Sie wird beschimpft, geschubst, bedroht, man lässt sie
warten. Sie wird von den Frauen der Familie verprügelt und verliert einen Zahn. Wäre ihr Onkel (und das ist selbst ein schlimmer Finger) nicht rechtzeitig gekommen, wäre sie im Schweinetrog gelandet.
Die Schulfreundin kann nicht mehr helfen, sie ist nämlich jetzt verheiratet. Der Mann hat das Sagen, auch wenn er 20 Jahre alt ist, in der Jogginghose am Kacheltisch säuft und Metal hört. |
Am Ende kapitulieren die Täter: sie zeigen ihr den Ort, an
dem ihr Vater im See versenkt worden ist. Mit der Motorsäge schneidet sie beide Hände ab. Mit diesem Beweis in der Tüte kann sie den Tod ihres
Vaters belegen, die Pfändung findet nicht statt, stattdessen bekommt sie den
Rest der Kaution ausgezahlt, alles wird so gut, wie es die Gegend erlaubt.
Sie könnte auch abhauen. "Mir geht es um die 40,000 Dollar. Bekommt man die sofort, wenn man sich einschreibt, oder muss man noch warten?" |
Wie war’s?
Bewegend. Gruselig. Gewalttätig. In „Winters Bone“ wird
ungebildete Brutalität so intensiv dargestellt, dass ich sofort wusste: das kann
man sich nicht ausdenken, das ist echt. Tatsächlich hat die Regisseurin nicht
nur mit Schauspieler sondern auch Laien aus dem ländlichen Missouri gedreht.
Klar, dass der Film die Ereignisse zu einem Märchen verdichtet – aber die
Einstellung des „frag nicht“, das Gesetz der Rache und der Grundsatz, nicht mit
dem Gesetz zusammen zu arbeiten, das ist von dokumentarischer Härte und eine
würdige Umsetzung der Romanvorlage.
"Sie lebt. Ich schwöre Dir, keiner von den Männern hat sie angerührt. Das waren die Frauen" |
Überhaupt: Märchen! Ich liebe ja einfache Geschichten.
Winter’s Bone folgt mit seinem klassischen Aventurien-Aufbau einem der ältesten
Erzählschema: der Gralslegende. Die Heldin ist unwissend und ungebildet, sie
beginnt ihr Abenteuer ohne Unterstützung und allein. Sie muss etwas oder
jemanden finden, das Erlösung bringt. Auf der Reise begegnet sie Feinden und
Unterstützern, löst Rätsel, gerät in Lebensgefahr und findet schließlich (mit
der Unterstützung von Eingeweihten), was sie sucht. Gut, in der Legende ist der
Gral eine Lanze oder ein Kelch, nicht ein paar abgesägter Hände, aber was soll’s.
Und dafür tut sie's: Kleiner Bruder lernt schießen |
Mir hat der Film außerordentlich gut gefallen – sicher bisher
Lawrence beste Leistung, aber Kunststück bei dieser Romanvorlage. Sie soll
übrigens das Eichhörnchen selbst abgezogen haben (ohne Stunt-Double), das
spricht schon mal für sie…
FSK-12, ich
empfehle den Film ab 14. Wie meistens bin ich der Meinung, dass es eher die
ernsthaften Themen, Not, Unterdrückung und Ungerechtigkeit sind, die einen Film
ungeeignet für junges Publikum machen – nicht weil sie das verstört, sondern
weil sie es nicht verstehen und es ihnen nicht gefällt. Das gilt übrigens nicht für "Schindlers Liste" - der ist aus unklaren Gründen auch für 12-jährige geeignet.
Friendlys Schulnote: eine Zwei-Plus
Rätselfrage: In „Winter’s Bone“ gibt es nur eine heimelige
Szene: es wird ein Geburtstag gefeiert und eine Bluegrass-Combo spielt im
Wohnzimmer. Welcher belgische Film handelt auch (zumindest auf einer
Seitenlinie) von Bluegrass-Musik?
Antwort der letzten Frage: Ich habe es verbockt! Ich war in „Die
Entdeckung der Unendlichkeit“ (Naja), das ist der Film über Stephen Hawking und
habe die Hauptdarstellerin der Jane Hawking für Ellen Page gehalten. Das war
aber Felicity Jones! Gut, sie sehen sich ein bisschen ähnlich, aber nicht sehr…
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