Mittwoch, 2. Juli 2014

Sommer in Orange

...ist ein ganz ein süßer Film. Was ihn so sehenswert macht ist, dass alle handelnden Personen eigentlich nur versuchen, naiv den nächsten Schritt zu einem etwas glücklicheren Leben zu machen, während das Leben selbst (und die ganzen anderen Glücksucher) ihnen dabei Beinchen stellen. Das ist nicht nur reizvoll anzusehen, sondern auch sehr wahr. Oh Fortuna!
Kommune ist auch Spaß: Wenn ihr nicht seid wie die Kinder, werdet ihr das Himmelreich nicht schauen.

Darum geht's:

Lilli und das kleine Brüderchen Fabian in den 80ern: Der Vater ist absenter Öko-Aktivist, die Mutter sinnsuchende Sannyassin. In Berlin kann man mit 11 Jahren gut damit leben, aber jetzt grade hat ihre Mutter Amrita beschlossen, dass sie mit einem Pulk anderer Jünger ins ländliche Bayern umziehen, um im ererbten Hof eines Kameraden ein Therapiezentrum zu eröffnen und sich noch ernsthafter der Sinnsuche hinzugeben.

Dort kommt es zum Zusammenprall der ländlich-sittlichen Trachtenkultur mit orangegewandeter halbverstandenen Instant-Spiritualität der Zugereisten Irren aus Berlin. Der Bürgermeister wittert RAF-Sympathisanten, der Metzger macht keinen Umsatz, nur Postbote Rudi findet gefallen an den Neuzugängen, insbesondere an einer..
Postbote Rudi findet Gefallen an Leela: Eigentlich ist freie Liebe doch eine gute Idee
Die einzige, die sich nicht immer wieder kopfschüttelnd in die eigene Bezugsgruppe zurückziehen kann ist Lili, denn die muss zur Schule. In Orange. Mit Mala. (Für die Spätgeborenen unter uns: das ist einerecht klobige Holzberlenkette mit dem Bild Bagwans auf einem Täfelchen). Das gibt große Augen bei den Mitschülern: Lili hat es schwer. Die beiden Jungs, die auf sie zugehen, wollen eigentlich nur ihre Brüste sehen (welche Brüste?) und fangen sich die verdiente Watschn ein. Versuche, außerhalb der Schule Dorf Fuß zu fassen, werden von den Vereinsoberen im Keim erstickt: "Sannyassin im Schützenverein! Gott bewahre!"
Freiheit, auch mal nicht abzuräumen: Weil niemand eingekauft hat, muss Lili Brot und Butter bei Bürgermeisters erbetteln
Nebenher gibt es einige erotische Verwicklungen in der Klinik: Amrita verliebt sich in den spirituellen Vorarbeiter Pram, der mit öligem Charm an seinen Groupis herumfingert. Das freut ihren Regular-Lover umso weniger, als sie ihre sexuallen Erfahrung während des gemeinsamen Beischlafes schildert. Rudi landet bei Leela und hilft Lili und Fabian, sich im Dorf zu akklimatisieren. Als ersten Schritt werden die beiden erstmal in den örtliche Trachtenkapelle aufgenommen.

Sehr süß ist Lilis Carmouflage-Strategie: Sie verläßt in orangenem Umhang das Haus, kommt aber in der Schule in weißen strickstrümpfen, kariertem Kleid und Timoschenko-Frisur an.
Drei Scheiben Leberkäse bitte, aber leise und diskret, ich bin Vegetarier.
Am Tag des Dorffestes kommt es zur Krise: Besucher Pram beschließt, Fest und Trachtenumzug zu besuchen und nimmt die ganze Kommune mit. Zunächst mischen sich die exaltierten Städter und die verblüfften Dörfler friedlich, dann entdeckt Amrita ihre Kinder in Trachtenkleidung im Orchester. Eine Mischung von "Kind, wie konntest Du mir das antun" und "Himmel, ich weiss wohl überhaupt nicht mehr, was mein Kind so treibt!" macht Mutter wild, sie macht den Kindern eine Szene, die einen Tumult auslöst. 
Glück im Lotussitz: Obwohl die Groupis sich vordrängeln, wird Amrita von Pram erwählt...


Als sich die Lage hinreichend beruhigt hat, will Pram Amrita überreden, mit ihm nach Amerika zu ziehen und die Geschwister nach England in ein Internat zu schicken, aber jetzt ist auch bei Amrita der Ofen aus: Selbst bei ihr muss die Erleuchtung hinter der Erziehung der eigenen Kinder zurückstehen. Versönlich endet der Film im Auftritt der Dorfkapelle an Lilis 12tem Geburtstag.

Wie war's?

Prima, Lustig und manchmal auch etwas tiefsinnig. Natürlich speist sich der Spass zum großen Teil aus Ideen, die heute als überwunden gelten können: Bhagwan, Liebe ohne Besitzdenken auf der einen Seite, RAF-Furcht, Fremdenfeindlichkeit und Trachtenwahn auf der anderen. Bischen billig, der Lacher, manchmal - aber lustig ist es schon. Obendrein soll der Sommer in Orange recht nahe am Original sein - schließlich ist die Autorin selbst in einer Kommune aufgewachsen.

Friendly's Schulnote: Eine Zwei-Plus. Sehr nett, einfühlsam, und vor allem lustig. Für Kinder ab sechs geeignet.

Rätselfrage: Ein farblich attributierter Ritualort spielt in der Geschichte wiederholt eine wichtige Rolle und wird in einem Biopic ausführlich gewürdigt. Wie heißt er?

Antwort der letzten Frage: Das ist das Tourette-Syndrom. Zu diesem Thema siehe auch: "Einen Tick anders". (Ich schreibe auch bald eine Kritik dazu)

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