Mittwoch, 19. November 2014

No turning back

Ein Mann in seinem Wagen, auf der Autobahn. Sein Dilemma: er muss an zwei Stellen zugleich sein, zwei Aufgaben zugleich erfüllen, beide unaufschiebbar. Er versucht das Beste zu erreichen. Er scheitert.
Diese Fahrt wird ihm nicht langweilig: Er wird entlassen, seine Frau schmeißt ihn raus, er hat Probleme mit der Polizei und 218 Lastwagen rücken an.

Worum geht’s?

Ivan Locke ist Bauleiter eines Mega-Projektes. Heute Nacht rollen 218 Betonmischer auf seine Baustelle, um „das größte Fundament Europas außerhalb des militärischen und nuklearen Sektors“ zu gießen. Wenn das schief geht, werden eine Menge Leute eine lange Zeit pickeln, bis der Beton wieder weg ist - und teuer wirds auch. Locke ist aber nicht auf seiner Baustelle, er ist auf der Autobahn Richtung London – eine flüchtige Liebschaft ist im Begriff, das gemeinsame Kind zur Welt zu bringen, und das hat er grade erst erfahren.

Am Telefon versucht Locke, Vorarbeiter Donal mit möglichst ruhiger Stimme möglichst genaue Anweisungen zu geben: Welche Straßen müssen gesperrt werden, welcher Beton wird geliefert, muss der Setzversuch gemacht werden oder nicht? Was ist, wenn einer der Mischer C50 statt C60 liefert?
„Mein Gott, ich bin nur Betonbauer, kein Bauleiter! Wie soll ich das schaffen?“
Es gilt, den gestressten Donal in Bewegung und vom Stress-Saufen abzuhalten. Ach ja, und seiner Frau sagtLocke am Telefon auch noch gleich die Wahrheit. Dazu der Sohn: „ Ich weiß nicht, was mit Mama los ist. Sie guckt nicht mit uns das Spiel, ich glaube sie ist im Schlafzimmer und weint“. Das wird Rückfragen geben... Unnötig zu erwähnen, dass die Geschäftsleitung Locke noch auf der Fahrt feuert. Er macht trotzdem weiter, „Wegen des Gebäudes, wegen des Betons.“

Am Ende kommt Locke doch zu spät – es bleibt der Gedanke, dass das Bemühen manchmal für die Tat stehen können muss.

Der Fahrer sitzt rechts. Ausnahmsweise ist es mal kein rein amerikanischer Film.

Wie war’s?

Diesen Film kann am besten genießen, wer selbst schon in dieser Situation gesteckt hat: Im schnellen Takt unter Zeitnot notwendigerweise falsche Entscheidungen treffen, alles gleichzeitig noch hinkriegen wollen und am Ende nur hoffen, dass es nicht mehr lange dauert und dass man mit halbwegs heiler Haut herauskommt.

Locke hat es nun wirklich nicht leicht. Sein Leben läuft ihm durch die Finger wie Sand: Es war ein einziger One-Night-Stand in Äonen von Ehejahren, der ihm das beschert hat! Mit einer Frau, in die er nicht verliebt war! Im fortgeschrittenen Alter! Die er noch nicht einmal sonderlich attraktiv fand! 

Und jetzt: Ehe kaputt, Job weg, 18 Jahre lang an ein Kind geschmiedet, das er nicht kennt, mit einer Frau, die ihm nichts bedeutet. Er fährt trotzdem hin, um bei der Geburt dabei zu sein, das Kind kennenzulernen und der Mutter beizustehen. Das ist sehr altmodisch und sehr redlich. Mir fällt da sofort an Kästers „Emil“ ein - der redlichste kleine Junge, den man sich vorstellen könnte.

Dass Locke vor allem deshalb gegen alle Widerstände zu seinem Kind fährt, weil sein Vater genau das nicht getan hat zeigt, dass der Drehbuchautor eine ähnliche Vorstellung von den erzieherischen Wirkprinzipien hat wie ich. (Was ich natürlich auch ganz toll finde): Kinder übernehmen die schlechten Züge ihrer Eltern nur zu gerne – oder sie lehnen sich entschieden dagegen auf. Einen Mittelweg gibt es nicht.

Friendlys Schulnote: eine EINS, ohne Wenn und Aber!

Rätselfrage: Aus welchem Film stammt der Satz: „Aber… ich muss nur an meine arme Mutter denken!“ (Kleiner Tipp: zeitlich eher so kurz nach Kästner einzuordnen. Übrigens: Wer mag eigentlich in Kästners Jugendbüchern diese moralisierenden Einschübe, die in kursiver Schrift? Wie kann man so gute Bücher schreiben und gleichzeitig so ein erzkonservativer Spießer sein?)

Antwort der letzten Frage: HAL ist eine Verschiebung von IBM um einen Buchstaben im Alphabet. Als der Film gedreht wurde, war IBM synonym für Großrechner, und PCs waren noch nicht erfunden. (Also gut, technisch kam die PDP-8 - ein 4096x12 Bit-Rechner mit Kippschalterinterface von Digital Equipment  - 1965 heraus, aber die PDP-8 galt damals als Minicomputer für kleine und mittlere Unternehmen)

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