Montag, 29. September 2014

V wie Vendetta

Darf man das Recht in die eigene Hand nehmen, wenn der Staat sein Gewaltmonopol nicht mehr im Interesse der Bürger ausübt? Eine Frage, die radikale Tierschützer, Kritiker des kapitalistischen, militärisch-industriellen Komplex, Anti-Speziesisten ebenso für sich beantwortet haben wie radikale Islamisten, Neonazis und wirrköpfige Berghüttenbewohner im ländlichen Nebraska. Aber jetzt zum Film:
Die Rituale der Demütigung: Haartracht spielt in "Vendetta" eine wesentliche Rolle

Worum geht's?

In einem England, das von der Atmosphäre irgendwo zwischen Nachkriegs-Bezugsschein und nineteen-eightyfour liegt (und chronologisch in der unmittelbaren Zukunft liegt), regiert Großkanzler Sutler (Zwei Silben, endet auf -ler?) mit harter Hand. Kleine Kriminellen-Grüppchen nutzen den Freifahrtschein, den ihnen das faschistoide System ausstellt, um Bürger einzuschüchtern. Das System legitimiert sich durch Volksabstimmungen, bei denen die Bürger unter der Bedrohung eines Bürgerkrieges und der Gefahr von Seuchen Großkanzler Sutler bestätigen.
Der Stockholm-Effekt: erst entführt durch einen Terroristen, jetzt aufbrezeln für das Attentat
Hier setzt die Handlung ein: Ein Maskierter namens „V“ bewahrt Natalie Portman vor einer Vergewaltigung durch eine Gruppe von Sutlers 'Nachtwächter' und entführt sie in seine Wohnung. Nett soweit, allerdings will er sie dort für ein ganzes Jahr festhalten - bis er am nächsten Guy-Fawkes-Day das Parlament in die Luft bomben wird. Bis dahin will er alle getötet haben, die an einem biologischen Experiment, bei dem er gefoltert und viele Regimegegner gestorben sind, beteiligt waren.

Der Film erzählt das ganze Töten dann auch recht unterhaltsam - in den Pausen erläutert V der jungen Natalie wie er sein Vorgehen rechtfertigt und kocht ihr was. Natalie flieht, wird aber schnell gefangen (von V) und wird von V in einer Verkleidung als Fascho-Scherge verhört und gefoltert. Natalie bleibt hart bis zum äußersten, nimmt ihm die Nummer danach aber übel. Schlussendlich wird V beim Attentat auf den Großkanzler tödlich verwundet und Natalie löst die vorbereitete Explosion des Parlamentes. Massen von Sympathisanten beobachtet die Szene, sie haben sich aus Solidarität zu den Zielen von V mit Guy Fawkes-Masken kostümiert.
Essenz des Anarchismus - ordnet Euch nicht unter, macht Euer Ding

Wie war's?

Der Film ist zunächst einmal sehr politisch, oder um exakt zu sein: aufrührerisch. Schließlich ist der Held des Films ein waschechter Terrorist. Wo ich so darüber nachdenke: Manche Leute fragen sich, warum es so viel Terrorismus auf der Welt gebe - ich frage mich, weshalb es nicht viel mehr Terrorismus gibt. Wenn die Tierschützer es ernst meinen damit, dass es ebenso verwerflich ist, ein Tier zu töten wie einen Menschen, warum rötet sich der Horizont nicht von den brennenden Bauernhöfen der Nerzfarmer? Weshalb sind nicht bereits hunderte von bis an die Haarspitzen motivierter Afghanen in die USA eingesickert, um den Tod ihres jeweiligen Sohnes/ihrer Tochter mit Präsident Obama persönlich glattzuziehen (und der hat schließlich auch Töchter)? Warum stellt kein Lebensschützer-Aktivist mit Batteriesäure klar, dass er Abtreibung für ein Verbrechen hält?

Und kochen kann er auch noch: V wäre der perfekte Lover - aber da sind diese Narben...
Ich erinnere mich noch, was ich gefühlt habe, als ich die Nachricht vom World-Trade-Center-Einsturz erfahren habe. Ich empfand ein ungeheures Gefühl der Befreiung. Nicht deshalb, weil ich mit den Zielen von Al-Qaida auch nur im Mindesten übereinstimmen würde - das Gefühl war deshalb da, weil Mohammed Atta und seine Gefährten so viel erreicht haben. Ich hatte vermutet, es sein für einzelne Personen (außer vielleicht Schabowski 1987, hihi…) nicht möglich, die Welt zu formen, aber 9/11 hat mir gezeigt, dass es möglich ist. Der Erfolg dieses Attentats befreite stellvertretend die ganze Menschheit aus dem scheinbar unabänderlichen Ablauf der Geschichte, in dem sie von Mächten, die sie nicht verstehen manipuliert und gesteuert werden und Dinge tun, die sie weder wollen noch die gut für sie sind. Klingt irgendwie religiös, was? Und das mir! Im Übrigen: ich lehne ich Gewalt als Mittel der politischen Gestaltung völlig ab.

In "V wie Vendetta" ist die Botschaft eine ähnliche: a) Du kannst etwas bewegen, b) mit terroristischen Methoden, wenn c) ein beträchtlicher Anteil der Bevölkerung hinter die steht (und nur nicht ganz so mutig ist wie du).

Das klingt zunächst einmal wahr, allerdings bezahlt V auch im Film mit dem Leben, und wenn einer meiner Freunde oder – gottbewahre – eines meiner Kinder sich derartig engagieren würde, würde ich doch sehr weinen müssen. Ist der Film also nichts für Kinder? Sicher ist er nur geeignet für die moralisch gefestigten, in Wohlstand und mit funktionierender Rechtspflege lebenden. Alle anderen könnten sich sonst einen Umhang und eine Maske anlegen...

Genug herumbramabasiert: als Film ist "V wie Vendetta" gut, Drama, Liebe, Explosionen, alles drin. Visuell ist er gute Mittelklasse - mich hat die filmische Umsetzung der Erinnerungen an das Versuchslabor und den Brand gestört, das war irgendwo zwischen Superheldeneinlage und Terminator angesiedelt. Die Folterszenen sind erschreckend, und irgendwo ist V auch ein fieser Möpp wenn er Natalie immer wieder unter Wasser drückt, bis sie fast ersäuft - seien seine Absichten auch noch so gut. Besonders lobenswert zu erwähnen: die Filmmusik mit der Ouvertüre zu Tschaikowskis 1812 und Beethovens 5. Symphonie.
Auf der Flucht: Ein Tag in Freiheit ist mehr wert als ein Leben in Ketten
Friendlys Schulnote: ZWEI-PLUS

Rätselfrage: Welches ist denn eigentlich der Guy-Fawkes-Day?


Antwort der letzten Frage: Es handelt sich um Agamemnon, den Mann der Klytemnestra. Agamemnon hat seine Tochter Iphigenie den Meeresgöttern geopfert, um einen guten Wind bei der Fahrt nach Troja zu haben. Das hat seine Frau schlecht aufgenommen und hat ihn nach seiner Rückkehr zusammen mit ihrem neuen Freund Aigistos erschlagen, als er sich grade hilflos in seinem Nachthemd verwurschtelt hatte.

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