Darf man das Recht in die eigene Hand nehmen, wenn der Staat
sein Gewaltmonopol nicht mehr im Interesse der Bürger ausübt? Eine Frage, die
radikale Tierschützer, Kritiker des kapitalistischen, militärisch-industriellen
Komplex, Anti-Speziesisten ebenso für sich beantwortet haben wie radikale
Islamisten, Neonazis und wirrköpfige Berghüttenbewohner im ländlichen Nebraska.
Aber jetzt zum Film:
Die Rituale der Demütigung: Haartracht spielt in "Vendetta" eine wesentliche Rolle |
Worum geht's?
In einem England, das von der Atmosphäre irgendwo zwischen
Nachkriegs-Bezugsschein und nineteen-eightyfour liegt (und chronologisch in der
unmittelbaren Zukunft liegt), regiert Großkanzler Sutler (Zwei Silben, endet auf
-ler?) mit harter Hand. Kleine Kriminellen-Grüppchen nutzen den
Freifahrtschein, den ihnen das faschistoide System ausstellt, um Bürger
einzuschüchtern. Das System legitimiert sich durch Volksabstimmungen, bei denen
die Bürger unter der Bedrohung eines Bürgerkrieges und der Gefahr von Seuchen
Großkanzler Sutler bestätigen.
Der Stockholm-Effekt: erst entführt durch einen Terroristen, jetzt aufbrezeln für das Attentat |
Hier setzt die Handlung ein: Ein Maskierter namens „V“ bewahrt
Natalie Portman vor einer Vergewaltigung durch eine Gruppe von Sutlers
'Nachtwächter' und entführt sie in seine Wohnung. Nett soweit, allerdings will
er sie dort für ein ganzes Jahr festhalten - bis er am nächsten Guy-Fawkes-Day
das Parlament in die Luft bomben wird. Bis dahin will er alle getötet haben,
die an einem biologischen Experiment, bei dem er gefoltert und viele
Regimegegner gestorben sind, beteiligt waren.
Der Film erzählt das ganze Töten dann auch recht
unterhaltsam - in den Pausen erläutert V der jungen Natalie wie er sein
Vorgehen rechtfertigt und kocht ihr was. Natalie flieht, wird aber schnell
gefangen (von V) und wird von V in einer Verkleidung als Fascho-Scherge verhört
und gefoltert. Natalie bleibt hart bis zum äußersten, nimmt ihm die Nummer danach
aber übel. Schlussendlich wird V beim Attentat auf den Großkanzler tödlich
verwundet und Natalie löst die vorbereitete Explosion des Parlamentes. Massen
von Sympathisanten beobachtet die Szene, sie haben sich aus Solidarität zu den
Zielen von V mit Guy Fawkes-Masken kostümiert.
Essenz des Anarchismus - ordnet Euch nicht unter, macht Euer Ding |
Wie war's?
Der Film ist zunächst einmal sehr politisch, oder um exakt
zu sein: aufrührerisch. Schließlich ist der Held des Films ein waschechter Terrorist. Wo ich so darüber nachdenke: Manche Leute fragen sich, warum
es so viel Terrorismus auf der Welt gebe - ich frage mich, weshalb es nicht
viel mehr Terrorismus gibt. Wenn die Tierschützer es ernst meinen damit, dass
es ebenso verwerflich ist, ein Tier zu töten wie einen Menschen, warum rötet
sich der Horizont nicht von den brennenden Bauernhöfen der Nerzfarmer? Weshalb
sind nicht bereits hunderte von bis an die Haarspitzen motivierter Afghanen in
die USA eingesickert, um den Tod ihres jeweiligen Sohnes/ihrer Tochter mit
Präsident Obama persönlich glattzuziehen (und der hat schließlich auch
Töchter)? Warum stellt kein Lebensschützer-Aktivist mit Batteriesäure klar,
dass er Abtreibung für ein Verbrechen hält?
Und kochen kann er auch noch: V wäre der perfekte Lover - aber da sind diese Narben... |
Ich erinnere mich noch, was ich gefühlt habe, als ich die
Nachricht vom World-Trade-Center-Einsturz erfahren habe. Ich empfand ein
ungeheures Gefühl der Befreiung. Nicht deshalb, weil ich mit den Zielen von
Al-Qaida auch nur im Mindesten übereinstimmen würde - das Gefühl war deshalb
da, weil Mohammed Atta und seine Gefährten so viel erreicht haben. Ich hatte
vermutet, es sein für einzelne Personen (außer vielleicht Schabowski 1987, hihi…)
nicht möglich, die Welt zu formen, aber 9/11 hat mir gezeigt, dass es möglich
ist. Der Erfolg dieses Attentats befreite stellvertretend die ganze Menschheit
aus dem scheinbar unabänderlichen Ablauf der Geschichte, in dem sie von
Mächten, die sie nicht verstehen manipuliert und gesteuert werden und Dinge tun,
die sie weder wollen noch die gut für sie sind. Klingt irgendwie religiös, was?
Und das mir! Im Übrigen: ich lehne ich Gewalt als Mittel der politischen
Gestaltung völlig ab.
In "V wie Vendetta" ist die Botschaft eine
ähnliche: a) Du kannst etwas bewegen, b) mit terroristischen Methoden, wenn c)
ein beträchtlicher Anteil der Bevölkerung hinter die steht (und nur nicht ganz
so mutig ist wie du).
Das klingt zunächst einmal wahr, allerdings bezahlt V auch
im Film mit dem Leben, und wenn einer meiner Freunde oder – gottbewahre – eines
meiner Kinder sich derartig engagieren würde, würde ich doch sehr weinen
müssen. Ist der Film also nichts für Kinder? Sicher ist er nur geeignet für die
moralisch gefestigten, in Wohlstand und mit funktionierender Rechtspflege
lebenden. Alle anderen könnten sich sonst einen Umhang und eine Maske
anlegen...
Genug herumbramabasiert: als Film ist "V wie
Vendetta" gut, Drama, Liebe, Explosionen, alles drin. Visuell ist er gute
Mittelklasse - mich hat die filmische Umsetzung der Erinnerungen an das
Versuchslabor und den Brand gestört, das war irgendwo zwischen
Superheldeneinlage und Terminator angesiedelt. Die Folterszenen sind
erschreckend, und irgendwo ist V auch ein fieser Möpp wenn er Natalie immer
wieder unter Wasser drückt, bis sie fast ersäuft - seien seine Absichten auch
noch so gut. Besonders lobenswert zu erwähnen: die Filmmusik mit der Ouvertüre
zu Tschaikowskis 1812 und Beethovens 5. Symphonie.
Auf der Flucht: Ein Tag in Freiheit ist mehr wert als ein Leben in Ketten |
Friendlys Schulnote: ZWEI-PLUS
Rätselfrage: Welches ist denn eigentlich der Guy-Fawkes-Day?
Antwort der letzten Frage: Es handelt sich um Agamemnon, den
Mann der Klytemnestra. Agamemnon hat seine Tochter Iphigenie den Meeresgöttern
geopfert, um einen guten Wind bei der Fahrt nach Troja zu haben. Das hat seine Frau schlecht aufgenommen und hat ihn nach seiner Rückkehr zusammen mit ihrem
neuen Freund Aigistos erschlagen, als er sich grade hilflos in seinem Nachthemd
verwurschtelt hatte.
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