Mittwoch, 2. April 2014

Sommer vorm Balkon

Ist von allen "deutschen Komödien" (wieso sind die bekannten "deutschen" Produkte eigentlich komödiantische Filme, Maschinen, Krimis und Brettspiele? Wo ist das Muster?) die tiefsinnigste. Manchmal so tief, dass der Film auch gut als das Melodram "Die Trinkerin" durchgehen kann. Oder als "Glanz und Elend der Altenpflege"?
Daher der Name: Nikes Balkon bietet Aussicht und Rückzugsort

Worum geht's?

Gutaussehende Ex-Schneiderin / Altenpflegerin Nicole (die wirklich super-süße Nadja Uhl) lebt im gleichen Haus wie ihre allein erziehende Freundin Katrin und dessen 12-jähriger Sohn. Freundin sucht Arbeit (fast dokumentarisch: Bewerbungstraining für Berufs-Wiedereinsteiger) und betäubt Selbstzweifel wegen Alter ("Sie sind 40." - "39-Einhalb!"), Konflikten mit dem Exmann und fehlender beruflicher Perspektive zunehmend mit Alkohol. Erschwerend hinzu kommen Schuldgefühle gegenüber Ihrem Sohn wegen alkoholbedingter Ausfälle. Altenpflegerin lernt Fernfahrer kennen und braucht lange, bis sie erkennt, dass er an ihr mehr die Wohnung als ihr schönes inneres Selbst liebt. 

Es kommt zur Krise, als Freundin nach einem Streit mit Nicola um deren neuen Freund in der Stadt enthemmt auf die Brause haut und der Kneipenbekannte sich an einer Vergewaltigung im Hausflur versucht. Katrin gibt sich die Kante mit der Vodkaflasche und wird am nächsten Morgen vom Sohn bewusstlos gefunden.

Jeder sollte eine Pflegerin zu Freundin haben: Nicole versorgt Katrin und bringt sie ins Krankenhaus. (Wieder eine dokumentarische Szene: Ärztin untersucht Katrin neurologisch - das ist soo echt, das kann man nicht spielen!).

Katrin zieht in die Entzugsklinik, Nicole betreut den Sohn ihrer Freundin. Sie bekommt Stress mit ihrer Pflegeagentur, die Freundinnen versöhnen sich, Abspann, aus.

Meine Lieblingsszene: Nicole zieht das Wollkleid der verstorbenen Frau ihres Pflege-Klienten an, um zu zeigen, dass es zu weit ist. Klient weint.
Mädchen, die rauchen, werden bald nicht mal mehr bis zur Ampel laufen
Damit alles nicht zu lang wird habe ich nicht erwähnt: a) jugendliche Liebe des Sohnes, bei der sich leider herausstellt, dass er nur als "guter Freund" vorgesehen ist b) Zwiespalt zwischen "satt&sauber"-Pflege und dem Bedürfnis nach Zuwendung bei den betreuten alten Leuten, c) unterdrückter Zickenkrieg mit der Bardame um den Fernfahrer, der nun wirklich eher ein Trostpreis ist.

Wie war's?

Tip-Top! Man weiß nicht, ob man lachen soll oder weinen bei dieser Komödie. Dafür hat man aber mal etwas zum nachdenken. 
Für Kinder ist der Film eher nur eingeschränkt geeignet, weil er wirklich existentielle Probleme anspricht, die blöderweise auch nicht mit einer Pistole zu lösen sind. Man wird einfach alt. Leute sterben. Menschen sind gemein und kommen davon. Die Guten leiden.

Friendly's Schulnote: Eine ZWEI-PLUS. Warum keine eins? Weil dieser Film keine Story hat - kann er vielleicht auch nicht haben, dafür ist zu viel drin.

Rätselfrage: In welchem Film wird eine Frau von einem Attentäter mit einem Präzisionsgewehr in die linke Brust geschossen. Sie überlebt, weil sie "situs inversus" das Herz rechts hat?


Antwort der letzten Frage: Das war der schwule Metzger, der Ball spielt und sich gelegentlich mal schlägt aus "Der bewegte Mann" nach dem Comic von Ralf König


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